14. Nov. 2025
Viele Männer fragen sich, was es heute eigentlich heißt, Vater zu sein. Geht es um Versorgung oder um Vorbildwirkung, um Autorität oder um emotionale Präsenz? Viele von uns sind selbst mit Vätern aufgewachsen, die zwar da waren und doch irgendwie gefehlt haben.
Was bedeutet also Vaterschaft wirklich, jenseits von Biologie oder Pflichtgefühl? Und was passiert, wenn der Vater im Mann fehlt, innerlich oder äußerlich? Heute sprechen wir über den Archetypen des Vaters.
Der Archetyp, der Kraft, der Halt gibt, der Richtung zeigt und der spürt, wie das Leben weitergeht. Wir schauen darauf, warum dieser Archetyp für Männer so zentral ist und wie er sich heute ausdrückt. Und was es braucht, um den Vater in uns selbst zu verkörpern, auch wenn wir ihn nie wirklich erlebt haben.
Folge zwei unserer Serie über die sieben Archetypen des Mannes. Heute geht es um den Vater – und wir beleuchten ihn wieder mit sieben Fragen. Nämlich: Wozu existiert dieser Archetyp überhaupt? Was zeichnet ihn in seiner reifen Form aus? Wie zeigt sich sein Schatten? Wie drückt er sich heute aus, und wie früher? Was heilt oder integriert ihn? Was schenkt er uns, wenn er gesund gelebt wird? Und wie zeigt sich der Vater im Alltag?
Ich habe wieder an meiner Seite Axel. Schön, dass du da bist.
AxelJa, hi, willkommen.
DanielAxel, wenn wir vom Vater sprechen – was ist eigentlich seine Aufgabe im Leben eines Mannes? Ich habe die Idee, dass der Vater nicht nur ein Elternteil ist, sondern ein inneres Prinzip. Und dieses innere Prinzip, darum soll es ja gehen. Wie siehst du das? Wozu braucht ein Mann den Archetypen des Vaters in sich selbst?
AxelGrundsätzlich für die eigene Entwicklung – um sich mit der Wirklichkeit des Vaters als Leitbild und Vorbild auseinandersetzen zu können. Es gibt so etwas wie einen Ruf im Sohn nach dem väterlichen Prinzip, das der Vater durch sein Sein verkörpert. Doch wir leben in einer vaterlosen Gesellschaft: Die Väter sind zwar da, aber nicht anwesend. Das hinterlässt Spuren – besonders im Sohn, der sich ohne Orientierung verliert, in Leere, Wut oder Depression.
DanielWelches Grundbedürfnis erfüllt der Archetyp des Vaters im Mann? Ist es Orientierung, Halt – oder etwas Tieferes?
AxelBeides. Ein Vater, der präsent ist, schenkt Orientierung, indem er sichtbar und spürbar ist. Kinder lernen durch Beobachtung, Nachahmung, Resonanz. Wenn der Vater anwesend ist, findet der Sohn Halt in ihm.
DanielWas zeichnet denn den reifen Vater aus – nicht im biologischen, sondern im seelischen Sinn?
AxelEin reifer Vater hat sich seiner eigenen Vaterwunde gestellt. Er kennt seine Achsseite – also den doppelten Strom von Nähe und Zerstörung, den jeder Vater in sich trägt. Erst wenn ein Mann diese Wirklichkeit annimmt, kann er selbst ein verlässlicher Vater werden. Viele Männer sind heute nicht rückgebunden an ihre Ahnenlinie – sie leben, als wären sie ohne Wurzeln. Doch hinter uns stehen unsere Väter, ihre Väter und der Ursprung. Diese Linie stärkt uns.
DanielDu hast von der Achsseite gesprochen. Magst du erklären, was das bedeutet?
AxelDie Achsseite beschreibt die Schattenseite des Vaters – Gewalt, Abwesenheit, Manipulation oder Kälte. Sie wird oft über Generationen weitergegeben. Doch der Sohn kann sie erst integrieren, wenn er beide Seiten des Vaters annimmt: den Nährenden und den Verletzenden. Nur so findet Versöhnung statt. Viele Männer versuchen, nur den „guten Vater“ zu sehen – aber Reife entsteht erst, wenn wir den ganzen Vater nehmen.
DanielIch kann das gut nachvollziehen. Ich habe meinen Vater lange abgelehnt, wegen seiner Gewalt. Aber wenn ich an die Achsseite denke, weiß ich ganz genau, wo sie mich getroffen hat – körperlich und seelisch. Und das ist Teil meines Weges, das anzunehmen.
AxelJa, und genau darin liegt die Chance. Auch Schmerz kann zur Initiation werden. Wer die Wunde annimmt, hört auf, sie weiterzugeben.
DanielWie zeigt sich der Schatten des Vaters heute am deutlichsten?
AxelViele Männer sind orientierungslos, vereinsamt, kraftlos. Sie spielen Männlichkeit, statt sie zu verkörpern. Wenn der Vater im Inneren fehlt, bleibt der Mann Sohn – abhängig, bedürftig, reaktiv. Das zeigt sich in Beziehungsunfähigkeit, Aggression oder Sucht. Der Vater ist das Tor ins Leben – fehlt er, bleibt das Tor verschlossen.
DanielFrüher war der Vater ja oft Beschützer, Lehrmeister, Führer in die Welt. Heute wird das Bild weicher, partnerschaftlicher. Was ist aus deiner Sicht verloren gegangen?
AxelVerloren gegangen ist das Bewusstsein für Initiation und Reifung. Früher wurde der Sohn durch Rituale in die Männlichkeit geführt. Heute fehlt dieser Übergang. Viele bleiben im Jungenbewusstsein stecken. Früher war der Vater präsent – heute ist er beschäftigt. Das Kind braucht keinen perfekten Vater, sondern einen, der da ist. Denn das beste Geschenk, das ein Vater machen kann, ist er selbst.
DanielWie kann ein Mann den inneren Vater integrieren?
AxelIndem er sich wieder für seinen Vater interessiert. Nicht als Ankläger, sondern als Sohn. Indem er fragt: Wer bist du? Wie war dein Leben? Diese Begegnung heilt mehr als tausend Gespräche mit Therapeuten. Versöhnung entsteht, wenn der Sohn den Vater nimmt, wie er ist – nicht, wie er ihn sich wünscht.
DanielIch habe genau das erlebt. Ich bin nach Jahrzehnten zu meinem Vater gegangen – nicht mit Vorwurf, sondern mit offenem Herzen. Und erst da konnte ich sehen, wer er wirklich ist.
AxelJa, und viele Väter warten nur darauf, dass der Sohn kommt. Sie tragen Geschichten, die sie nie erzählen konnten. Und oft fließt der erste echte Segen in diesem Gespräch: „Ich bin stolz, dass du mein Sohn bist.“ Diese Worte heilen Generationen.
DanielWie verändert sich das Leben eines Mannes, wenn der Vater in ihm integriert ist?
AxelDann entsteht Stabilität, Vertrauen, innere Ruhe. Menschen spüren, dass sie sich auf ihn verlassen können. Er braucht keine Anerkennung mehr, weil er weiß, wer er ist. Der Vater ist dann die Brücke zum wahren Leben. Nicht perfekt, aber präsent, klar und wahrhaftig.
DanielUnd was ist mit Männern, die keine eigenen Kinder haben – leben sie dieses Prinzip trotzdem?
AxelNatürlich. Der Vater ist ein Prinzip, keine biologische Rolle. Jeder Mann kann Vater sein – durch Fürsorge, Orientierung, Mut, Verantwortung. In der spirituellen Dimension wird der Vater zur Verkörperung von Weisheit – der, der führt, ohne zu herrschen.
DanielHast du abschließend noch einen Impuls?
AxelMut, dich auf den Weg zum Vater zu machen. Der Vater ist das Tor zu deiner menschlichen Urkraft. Geh, wenn du kannst, zu ihm. Und wenn er nicht mehr lebt – geh zu seinem Grab, schreib ihm einen Brief, sprich mit ihm. Nur so kann das Leben wieder durch dich fließen.
DanielAlso, letztes Mal hatten wir Mut zur Wunde. Heute sagen wir: Mut zum Vater. Vielleicht spürst du beim Hören dieses Gesprächs etwas in dir – Schmerz, Wut, Sehnsucht, Leere. All das ist willkommen. Der Vater im Mann ist kein fertiges Bild – er wächst, wenn du Verantwortung übernimmst. Die Frage ist nicht, war mein Vater gut oder schlecht, sondern: Wie kann ich heute Vater sein – für mich, für andere, für das Leben selbst.
AxelDer Sohn wird nicht als Mann geboren – er muss erst einer werden. Und der Vater ist das Tor zu seiner männlichen Identität.
DanielSchöne Schlussworte. Danke, Axel. Bis zum nächsten Mal.
AxelDanke dir auch, Daniel. Ciao.