22. Okt. 2025
Viele Männer fragen sich, wie Heilung eigentlich funktioniert. Geht es darum, sich selbst zu reparieren oder darum, endlich wieder zu fühlen? Viele spüren eine Sehnsucht, heil zu werden, wissen aber gar nicht, was das eigentlich heißt.
Heil sein – heißt das, keine Wunden mehr zu haben, oder heißt es, mit den eigenen Wunden in Frieden zu sein? Und wo kippt der Wunsch zu heilen in das Bedürfnis, andere zu retten? Heute sprechen wir über den Heiler im Mann – die Kraft, die Mitgefühl mit Klarheit verbindet.
Wir schauen darauf, warum dieser Archetyp so wichtig ist, wie er sich in unserer Zeit zeigt und was es braucht, damit Heilung im Mann wirklich stattfinden kann. Diese Folge ist Teil unserer Reihe „Die sieben Archetypen des Mannes“. Und wir wollen uns in den kommenden sieben Folgen jeweils mit einem der sieben großen Archetypen verbinden und schauen: Was ist da eigentlich zu finden?
Axel, was sind denn eigentlich Archetypen? Was ist ein Archetyp?
AxelJa, er ist ja sicherlich über Jung sehr publik geworden. Der beschreibt sie als Blaupausen unserer menschlichen Seele. Darin sind uns gewisse Qualitäten eingeboren, die wir bereits sind.
Und das, was bei archetypischen Bildern oder Formen geschehen will, ist, dass wir lernen, damit in Kontakt zu kommen. Fast jeder kann mit einem Archetypen – Krieger, Heiler, König – sofort etwas verbinden. Diese Bilder sind Teil eines kollektiven Seelenfeldes.
Deswegen sind sie letztlich weltweit, in allen Kulturen, zu finden. Jeder Mensch geht, ob Mann oder Frau, auf so etwas wie eine Heldenreise. Und in dieser Reise begegnen wir diesen archetypischen Kräften in uns.
Archetypen sind wie Initiationsprozesse in tiefere Aspekte unserer menschlichen, männlichen oder weiblichen Seele, die erfahren und integriert werden wollen. Wir brauchen Kontakt zu diesen Kräften. Und wenn man nun auf den Heiler schaut, ist das natürlich ein großes Thema.
Wir alle kennen Situationen, in denen wir sagen: „Ich fühle mich verletzt.“ Da wird spürbar, wie dieses Urprinzip der Wunde in uns berührt wird – damit etwas, das sich verletzt fühlt, auch wieder heilen kann. Heilung bedeutet für mich Ganzwerdung – dass das, was sich getrennt gefühlt hat, wieder innerlich zusammenfindet. Jeder Mann darf lernen, sich seiner Wunde zu stellen.
Keiner geht unverletzt durchs Leben. Jedes Lebewesen wird vom Prinzip der Wunde berührt und herausgefordert. In früheren Kulturen war das selbstverständlich: Initiationen waren mit Schmerz verbunden. Sie mussten lernen, sich diesem Schmerz zu stellen – und das bewirkte Wachstum.
DanielJa, vielen Dank. Wir wollen uns heute einmal strukturiert den Archetypen widmen, um sie vollumfänglich und gleichgewichtet zu beleuchten. Wir nähern uns also mit sieben großen Fragen: Warum existiert der Archetyp überhaupt? Was zeichnet ihn in seiner reifen Form aus? Wie zeigt sich sein Schatten? Wie drückt er sich heute aus – und wie früher? Was heilt oder integriert ihn? Was schenkt er uns, wenn er integriert ist? Und schließlich: Wie zeigt er sich im Alltag?
Axel, wenn wir vom Heiler sprechen – warum braucht ein Mann diese Kraft in sich? Ist sie Teil seiner Reifung, seiner Menschlichkeit, seiner Fähigkeit, Verbindung zu schaffen – vor allem zu sich selbst? Und was passiert, wenn ein Mann diesen Teil in sich verloren hat?
AxelIch glaube, das ist einer der größten Bereiche, die wir erforschen dürfen. Ein Mann, der seine Wunde nicht erforscht hat, kommt nicht wirklich bei sich selbst an. Viele Männer delegieren die Wunde – sie machen andere für ihr Leid verantwortlich. Das ist ein kindliches Bewusstsein, kein reifes.
Ein Mann muss lernen, seiner Wunde zu begegnen, sie zu erforschen. Das ist kein einmaliger Prozess, sondern ein Weg. Wenn Männer diesen Kontakt finden, entsteht etwas Wesentliches – Mitgefühl. Mitgefühl ist die Essenz des Heilers. Es ist die Fähigkeit, anzuerkennen, dass alles Lebendige verletzt ist – und trotzdem gut.
DanielIst der Heiler eher jemand, der andere heilt, oder jemand, der bereit ist, seine eigene Wunde zu spüren?
AxelBeides. Wenn ich mich meiner eigenen Wunde stelle und sie annehme, werde ich dadurch schon heilerisch tätig. Ich signalisiere meinen Mitmenschen, wie man mit Verletzlichkeit umgehen kann. Schamanen mussten früher selbst an die Grenze des Todes gehen – dort aktivierten sie ihre heilerischen Kräfte. Heilung heißt, den Kontakt zu dem wiederzufinden, wozu wir den Kontakt verloren hatten.
DanielWir nennen das Wort Heilung vielleicht besser Ganzwerdung – wie du es eingangs sagtest. Was zeichnet denn den Heiler in seiner reifen Form aus? Woran erkennt man, dass Heilung nicht mehr aus Schuld, sondern aus Bewusstsein entsteht?
AxelEin reifer Heiler hat Seelentiefe. Er spürt seine eigene Verletzlichkeit – und die der Welt. Er ist offen, empfindsam und mitfühlend. Empathie entsteht nur, wenn wir unsere eigene Wunde anerkennen. Mitgefühl, Seelentiefe und Verletzbarkeit – das sind die prägnantesten Qualitäten des Heilers.
DanielWas unterscheidet das Mitgefühl eines integrierten Heilers vom Mitleid eines Mannes, der diesen Archetyp noch nicht entwickelt hat?
AxelMitleid hat nichts Heilendes. Es zieht uns ins Leid des anderen hinein. Mitgefühl hingegen anerkennt den Prozess des anderen, ohne ihn zu übernehmen. Wer mitleidet, verliert Kraft. Wer mitfühlt, bleibt verbunden. Viele Männer kippen in ein Helfersyndrom und opfern sich auf – das ist der Schatten des Heilers.
DanielWann kippt der Heiler in den Retter?
AxelWenn er über das Helfen etwas bekommen will. Die, die viel geben, brauchen selbst viel – können es sich aber nicht eingestehen. Solange die eigene Wunde unbewusst ist, wird Hilfe zur Kompensation. Wahre Heilung beginnt, wenn ich anerkenne, dass ich selbst bedürftig bin – und diese Bedürftigkeit halten kann.
DanielKann man sagen: „Ich heile andere, weil ich mich selbst nicht heilen kann“?
AxelJa. Wenn die eigene Wunde nicht integriert ist, missbrauche ich den anderen unbewusst für meinen eigenen Heilungsprozess. Jeder, der anderen Heilung verspricht, ohne seine eigene Wunde zu kennen, läuft Gefahr, in diesen Schatten zu fallen. Der einzige Weg führt durch das eigene Tor der Wunde – dort beginnt wahre Ganzwerdung.
DanielWie integriert ein Mann den Heiler in sich?
AxelIndem er Räume aufsucht, in denen er seine Wunde fühlen darf. Indem er lernt, seine Impulse zu halten, statt sie zu delegieren. Indem er Schmerz zulässt. Das ist kein angenehmer Weg – aber ein notwendiger. Durch die Wunde wird der Mann weich, tief, lebendig. Die Wunde wird fruchtbar.
DanielWelche Archetypen unterstützen den Heiler in seiner Balance?
AxelAlle Archetypen sind miteinander verwoben. Der Krieger hilft mit Unterscheidungskraft und Grenzen. Der Liebhaber bringt Herz und Hingabe. Der König schenkt Ordnung. Der Magier Bewusstsein. Sie ergänzen sich gegenseitig. Kein Archetyp steht für sich allein.
DanielWas schenkt der integrierte Heiler einem Mann?
AxelEin tiefes, friedvolles, erfülltes Leben. Gelassenheit. Mitgefühl. Würde. Die Fähigkeit, in Liebe zu sein, ohne retten zu müssen. Wer seine Wunde kennt, kann in Frieden leben – mit sich und der Welt.
DanielWelche Wirkung hat ein geheilter Mann auf andere?
AxelEr strahlt Ruhe aus. Mitgefühl. Klarheit. Wohlwollen. Solche Männer heilen durch ihr Dasein – nicht durch Tun.
DanielIch habe ChatGPT gefragt, welche historische Figur den Archetypen des Heilers verkörpert. Die Antwort war: Jesus von Nazareth. Er trägt den Schmerz der Welt, verwandelt Leid in Heilung, führt den Menschen zurück in die Ganzheit. Er sagt: „Ihr werdet größere Dinge tun als ich.“ – Das ist die reifste Form des Heilers: Nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen, sondern andere zu befähigen, selbst heil zu werden.
Axel, was gibst du den Männern zum Schluss mit?
AxelMut zur Wunde.
DanielMänner, stellt euch euren Wunden. Wenn ihr Impulse dazu braucht: Ein guter Anlaufpunkt ist das Männercamp 107, das im Juni wieder stattfindet. Infos findet ihr in den Shownotes. In der nächsten Folge sprechen wir über den Vater. Danke, Axel.
AxelSo soll es sein. Danke dir auch, Daniel. Bis später. Ciao.